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Sicherheit als neuer Planungsparameter

Klauen ja, Bestechen nein – so könnte man die Kriminalität rund um Supply Chains in der Schweiz kurz charakterisieren. Produzierende Unternehmen und der Logistik- und Transportsektor gehören zu den sechs am stärksten von Wirtschaftskriminalität betroffenen Branchen.

Sicherheit in der Supply Chain wird für immer mehr Unternehmen zu einem wichtigen Thema. In den nächsten drei Jahren dürften die heute am häufigsten vorkommenden Vergehen nicht seltener, sondern eher noch vermehrt auftreten. Aktuell ist die Verletzung von Schutz- und Urheberrechten eines der häufigsten Probleme. Stark verbreitet sind gemäss der Logistikmarktstudie 2016 auch der Diebstahl, der Missbrauch und die Manipulation von Daten sowie spontaner Ladungsdiebstahl.
Als Basis der Analysen wurden 166 Industrie- und Handelsunternehmen sowie Logistikdienstleister befragt. «Unternehmen sollten Risiken entlang der Supply Chain systematisch und ganzheitlich analysieren sowie geeignete Massnahmen initiieren», findet Erik Hofmann, Titularprofessor am Lehrstuhl für Logistikmanagement der Universität St. Gallen. Seiner Meinung nach sollten die Planungsparameter Kosten, Zeit und Qualität um die Dimension Sicherheit erweitert werden. Proaktiv wäre beispielsweise ein Engagement im Rahmen der Abkommen von C-TPAT und EU AEO. Künftig stelle sich im Kontext der Supply Chain vermehrt die Frage nach der Auswahl von zuverlässigen Lieferanten und Dienstleistern, sicheren Distributionskanälen sowie risikoarmen Transportrouten oder Lagerstandorten.

Bestechung kommt fast nicht vor
Während heute der schlichte Diebstahl recht häufig ist, stellen Korruption, Bestechung (etwa bei der Vergabe von Transportaufträgen) sowie Terror (als Androhung oder Ausübung von Gewalt) nahezu kein Problem für die befragten Firmen dar. «Obwohl solche Kriminalitätsfälle wenig wahrscheinlich sind, könnte das Ausmass des Schadens enorm sein», meint Hofmann. Allerdings hat die Schweiz – sozusagen präventiv – in den Jahren bis 2006 das Korruptionsstrafrecht erweitert und verschärft. Nun können nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmen der Korruption bezichtigt werden. Strafverfolger haben deshalb mehr Möglichkeiten, korrupte Praktiken zu bekämpfen.
Kriminelle Machenschaften geschehen derzeit meist mit dem Ziel der persönlichen Bereicherung. Beispiel: Ein Logistikdienstleister versucht, durch Bestechung die Vergabe von Transportaufträgen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Die absichtliche Schädigung Dritter steht dagegen nicht im Vordergrund. Das wäre der Fall, wenn man die Lagerhalle eines Wettbewerbers vorsätzlich zerstört. In der Schweiz hat man es also meist mit der genannten «Kriminalität für Unternehmen» zu tun, nicht mit einer gegen Firmen gerichteten Aktivität. Das liegt wohl auch daran, dass es bei ersterem Handlungsmuster vermutlich einfacher ist, die Spuren der Tat zu verwischen, da sie weniger deutlich sichtbar sind.

 

Safety und Security sind nicht das Gleiche
Im Supply-Chain-Sicherheitsmanagement kennzeichnen die aus dem Englischen übernommenen Begriffe «Safety» und «Security» zwei unterschiedliche Zielsetzungen.
• Safety: Schutz von Personen und Sachwerten vor ungewollt herbeigeführten Schäden, zum Beispiel im Falle von Naturkatastrophen.
• Security: Schutz von Personen und Sachwerten vor willentlich herbeigeführten Schäden, zum Beispiel Diebstahl, Vandalismus, Terrorismus.
Entsprechend unterschiedlich fallen auch die jeweils ergriffenen präventiven Massnahmen aus. Zur Erhöhung der Safety strebt man vor allem nach der Beseitigung von Unsicherheiten und Risiken. Mithilfe von Prognosen und Monitorings sucht man eine grössere Gewissheit über den Eintritt von Faktoren zu erhalten, die ausserhalb menschlicher Einflusssphären liegen (Unwetter) oder unbewusst verursacht werden (Konstruktionsfehler). Die Security dagegen will Schäden durch kriminelle Handlungen vermeiden. Als Beispiele dafür können die Aufstockung des Sicherheitspersonals im Unternehmen oder die Einführung von Überwachungstechnik sowie die Durchführung von Sicherheitsaudits gelten.



Sicherheit ist den meisten zu teuer
Obwohl nun die Schweizer Unternehmen in den kommenden Jahren eine gleichbleibende und sogar zunehmende Kriminalität in der Supply Chain erwarten, planen die meisten kaum Investitionen in weitere Sicherheitsmassnahmen. «Diese Untätigkeit könnte zu Compliance-Problemen führen », meint Hofmann. Seiner Meinung nach sollte es das Ziel der Bestrebungen im Bereich der Security in Supply Chains sein, mit den kriminellen Entwicklungen Schritt zu halten. «Idealerweise wäre man ihnen sogar ein Stück voraus», findet der Wissenschaftler.
Zumindest bei der Auditierung wollen die Verlader ihre Ressourcen aufstocken. Das gilt sowohl für interne Prozesse als auch bei Geschäftspartnern. Die Firmen scheinen mit dem aktuellen Stand an Sicherheitsvorkehrungen bereits relativ zufrieden und sehen daher wenig Handlungsbedarf. Denkbar ist, dass explizite Security-Massnahmen nur als ein notwendiges Übel gesehen werden. Sie sind zwar ein direkter Kostenfaktor, leisten jedoch keinen mittelbaren Beitrag zur Wertschöpfung.
Eine Ausweitung der Ausgaben dafür erscheint also – ausser in begründeten Fällen – wenig attraktiv.

Kameras sind beliebt
Nur die Logistikdienstleister haben bis heute deutlich mehr Sicherheitsmassnahmen getroffen als ihre Kunden, die verladenden Industrie- und Handelsunternehmen. Rund 85 Prozent der Dienstleister nutzen aktive Überwachungstechnik wie beispielsweise Kameras. Knapp über 40 Prozent der Firmen haben ihre Sicherheitsressourcen aufgestockt, sowohl auf der Personalseite wie im technischen Bereich. Diese Aktivitäten zeigen an, dass sie kriminellen Machenschaften wohl etwas stärker ausgesetzt sind als die Verlader.
Die Logistikdienstleister wollen auch in den kommenden Jahren deutlich mehr in Supply-Chain-Sicherheit investieren als Firmen anderer Branchen. Das könnte an einem erhöhten Nachholbedarf liegen. Ausserdem ist ein Grossteil der Logistikdienstleister auch ausserhalb der Schweiz tätig. Steigende Kriminalitätsraten im Ausland könnten also ebenfalls eine Erweiterung der Sicherheitsressourcen erforderlich machen.

Alexander Saheb
 

Die Lage auf einen Blick
• In der Supply Chain gehören heute die Verletzung von Schutz- und Urheberrechten, Datendiebstahl, -missbrauch und -manipulation sowie Ladungsdiebstähle zu den häufigsten Vergehen.
• Industrie- und Handelsunternehmen sowie Logistikdienstleister erwarten künftig eine gleichbleibende oder sogar steigende Zahl solcher Wirtschaftsverbrechen. Deshalb sind weitere Investitionen in die Supply-Chain-Sicherheit geplant.
• Verlader scheinen aber wenig investieren zu wollen. Das stellt die Compliance-Konformität der Unternehmen in Frage.
• Die Planungsparameter Kosten, Zeit und Qualität müssten mit Sicherheit erweitert werden. Die Auswahl zuverlässiger Lieferanten und Dienstleister, sicherer Distributionskanäle und risikoarmer Transportrouten oder Lagerstandorte steht für die Supply Chain im Vordergrund.
• Unternehmen sollten Risiken entlang der Supply Chain systematisch und ganzheitlich analysieren sowie geeignete Massnahmen initiieren. Eine Möglichkeit wäre das Engagement im Rahmen von C-TPAT und EU AEO.
C-TPAT: Customs-Trade Partnership Against Terrorism – freiwillige Initiative der US-Zollbehörde zur Erhöhung der Sicherheit in der Supply Chain gegenüber Terrorismus.
AEO: Authorized Economic Operator – Initiative der EU, bei der Unternehmen den Status des «zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten» erhalten, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen (u. a. Einhaltung der Zollvorschriften, Zahlungsfähigkeit, ordnungsgemässe Buchführung, angemessene Sicherheitsstandards).

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