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Bitte Zahlen

Ein Blick in die Kulturgeschichte der Zahlen und des Zählens.Zahlen und Ziffern sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Wir rechnen, zählen, vergleichen und messen mit Zahlen und Ziffern. Sie bestimmen die Mathematik. Selbst in unserer Alltagssprache sind sie allgegenwärtig. Wir rechnen nach Adam Riese, suchen den gemeinsamen Nenner, gehen auf Nummer sicher und halten nichts von Nullachtfünfzehn-Lösungen. Ein Blick in die Kulturgeschichte der Zahlen und des Zählens.

Auch wenn Ziffern wie 3, 5 oder 7 für uns nichts Spezielles sind, ist die Erfindung dieser Schriftzeichen eine der genialsten schlechthin. Eine Ziffer ist ein Schriftzeichen, dem als Wert eine Zahl (Ziffernwert) zugewiesen wird. So besteht die Zahl 425 aus den Ziffern 4, 2 und 5. Je nach Zahlensystem werden unterschiedliche Ziffern zur schriftlichen Darstellung von Zahlen verwendet. Die Wertigkeit einer Ziffer bestimmt die Position, an der sie steht.

Bei der Zahl 425 entspricht die Ziffer 4 einer Wertigkeit von 100, die Ziffer 2 der Wertigkeit 10 und die Ziffer 5 der Wertigkeit 1. Die Summe ergibt sich aus (4 × 100) + (2 × 10) + (5 × 1) = 425. Im Dezimalsystem werden die Ziffern 0 bis 9 zur Darstellung von Zahlen genutzt. Das Binärsystem verwendet die Ziffern 0 und 1, im Hexadezimalsystem kommen die Buchstaben A bis F zu den Ziffern 0 bis 9 hinzu. Das Wort «Ziffer» hat übrigens seinen Ursprung im arabischen «sifr»; es bedeutet «leer» und verweist auf die Zahl 0.

Zehn Zehen
Vermutlich sind unsere Vorfahren über die Zahl der menschlichen Finger zum Dezimalsystem gekommen. Dieses hat sich schliesslich in der gesamten indogermanischen Sprachfamilie etabliert. In gewissen Gegenden Afrikas und Ozeaniens sowie bei Kaufleuten in Bombay dient jedoch die 5 als Zählbasis. Dazu gibt es auch eine passende Fingertechnik: Die linke Hand zählt jeweils von 1 bis 5 und mit den Fingern der rechten Hand werden dann die Fünfer gespeichert.

Andere Völker, etwa die Azteken, die Maya, aber auch die Eskimo in Grönland, bevorzugen ein System, dessen Basis die Zahl 20 ist. Das kommt vielleicht daher, dass wir neben den zehn Fingern auch noch zehn Zehen haben. Und das altgermanische Wort «Zehe» ist mit Zeiger verwandt. Die Zehen sind also die Finger der Füsse. Die Zahl 80 wäre im Zwanzigersystem vier-malzwanzig. Selbst in Europa finden sich noch Spuren der früheren Zwanzigerbasis, so zum Beispiel im französischen «quatre-vingts». Für 120 verwendete Molière «six-vingts», also sechs-malzwanzig. Und noch heute heisst die Augenklinik in Paris, die Ludwig IX. im 13. Jahrhundert für 300 blinde Veteranen bauen liess, «Hôpital des Quinze- Vingts» (fünfzehn-mal-zwanzig).

Auch wenn wir im Zehnersystem leben, machen wir immer wieder einen Abstecher in fremde Zahlenwelten. So verwenden wir als Grundeinheit der Zeit die Zahlen 12 und 60, und in der Geometrie entsprechen 90 Grad einem rechten Winkel. In der Computersprache werden Zahlen nur mit den Ziffern der Werte null und eins dargestellt, um zwischen Strom (1) und kein Strom (0) zu unterscheiden. Den Grundstein zur Entwicklung des Binärsystems legte der im Jahr 1646 in Leipzig geborene Gottfried Wilhelm Leibnitz, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, was für Auswirkungen seine Arbeit auf die Nachwelt haben würde.

Die Erfindung der Null
Der letzte Geniestreich in der Geschichte des Zählens war die Erfindung der Null. Sie ist heute so selbstverständlich wie die anderen neun Ziffern. Obwohl die Menschheit schon lange rechnete und zählte, fehlte die Null. Selbst das römische Zahlensystem kennt keine Null. Als Erfinder dieser Ziffer werden die Inder genannt. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts gelangte sie über Handelsbeziehungen nach Europa, wo sie lange Zeit als Teufelswerk galt, denn die Null, das Nichts, durfte es eigentlich nicht geben. Erst der Rechenmeister Adam Ries verhalf der Null im 16. Jahrhundert zum Siegeszug. Er wird auch als Vater des modernen Rechnens bezeichnet und sein Name ist heute noch aus der Redewendung «nach Adam Riese» allgemein bekannt.

Die Null hat zwei Bedeutungen: Zum einen steht sie für das Nichts, für etwas nicht Existierendes, zum anderen hat sie mit der Einführung des Stellenwertsystems die Mathematik revolutioniert. Neben eine Eins gestellt, ergibt sich daraus die Zehn, zwei Nullen neben einer Eins ergeben Hundert und so weiter. Jede beliebige Grösse lässt sich durch die Anzahl der Nullen und deren Stellung vor oder hinter dem Komma ausdrücken.

Schon im Altertum ging man davon aus, dass die Zählreihe kein Ende hat. Obwohl die Griechen keine Dezimalschreibweise kannten, berechnete Archimedes die Zahl der Sandkörner, die das Universum füllen können. Die grösste Zahl der griechischen Mathematiker war eine Myriade Myriaden, was etwa der Zahl hundert Millionen (108) entspricht. Archimedes bezeichnete diese höchste Zahl als Zahl erster Ordnung. Nun machte er 108 wiederum zur Einheit von Zahlen zweiter Ordnung und konnte so bis 1016 zählen und so fort. So erfand er die unvorstellbar grosse Zahl 1063. Eine Eins mit 63 Nullen steht für die Anzahl der Sandkörner, die im Universum Platz haben. Die Sandzahl wurde von den Griechen als Synonym für die Unendlichkeit benutzt. Heute gehen Wissenschaft und Forschung davon aus, dass sich die Anzahl der Atome im Universum zwischen 1084 und 1089 beläuft.
Ganz anders sieht es aus, wenn wir einen Googol meinen. Das wäre die Zahl 10100. Deren deutscher Name ist zehn Sexdezilliarden. Übrigens wurde die bekannte Suchmaschine nach der Zahl Googol benannt. 10 hoch Googol nennt die Mathematik dann Googolplex und 10 hoch Googolplex ist ein Googolplexian. Rein mathematisch gibt es keine grösste Zahl. Auch zu einem Googolplexian lässt sich immer noch eins hinzuaddieren. Übrigens reicht die Speicherkapazität aller Computer auf der Erde nicht im Ansatz aus, um auch nur eine einzige Zahl im Googolplex-Bereich zu speichern.

Auch die Jahre haben Zahlen
Jahreszahlen sind eigentlich Ordinal-, keine Kardinalzahlen. Das Jahr mit der Nummer 1999 ist das eintausendneunhundertneunundneunzigste und somit erst am 31. Dezember ein ganzes, ein vollendetes Jahr. Folglich wurde auch das zweite Jahrtausend erst «voll», als die Strecke des zweitausendsten Jahres zurückgelegt war. Anders wäre es nur, wenn es ein Jahr 0 gegeben hätte. Doch der Mönch Dionysius Exiguus, der im 6. Jahrhundert für Papst Johannes I. die Ostertafeln neu zu berechnen hatte und dabei das «Vor-Christusnach- Christus-System» etablierte, kannte – wie der gesamte christlich-römische Kulturkreis – noch keine Null. Mangels Null begann unsere Zeitrechnung also mit dem Jahr 1. Daraus folgt, dass das Jahr 2000 das letzte Jahr des zweiten Jahrtausends war und nicht das erste des dritten.

Solche Zeitrechnungen sind aber längst nicht für alle Menschen auf dieser Welt massgebend – die christliche Zeitvorstellung ist nur eine unter vielen. Der 1. Januar 2016 war identisch mit dem 20. Tevet 5776 des jüdischen, mit dem 20. Rabi’al-Awwal 1437 des islamischen und mit dem 22. Kiahk 1732 des koptischen Kalenders. Oder: Das christliche Jahr 2016 entspricht dem Jahr 2559 der buddhistischen und dem Jahr 224 der Zeitrechnung der Französischen Revolution, nicht zu vergessen dem Jahr 1394 des persischen Kalenders.

Joachim Heldt

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