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Miacar: Eisbrecher im Online Lebensmittelhandel?

Mit dem Start-up Miacar testet die Migros-Gruppe den Markt für Online-Lebensmitteleinkauf. Gratislieferung mit geringem Mindestbestellwert, die gleichen Preise wie im stationären Handel und persönlicher Service sollen die Hemmschwelle der Kundschaft senken. Im Fokus steht aktuell die Steigerung der Kundendichte in den belieferten Gebieten.

Ab 25 Franken bringt Miacar online bestellte Lebensmittel ins Haus – vorerst aber nur in der Region Bern. Das Jungunternehmen will den Lebensmitteleinkauf über den Onlinekanal für alle Kundensegmente populärer machen. Dazu setzt man insbesondere auf einen geringen Mindestwert des Warenkorbs von eben 25 Franken. «Wir wollen, dass der Wocheneinkauf online gemacht wird», sagt Dominic Mehr, CEO von Miacar. Das Unternehmen ist eine im März 2019 erfolgte Ausgründung der Migros-Tochter Sparrow Ventures. Miacar beschäftigt derzeit rund 60 Personen. Beliefert werden elf Postleitzahlgebiete im Norden Berns. Bis Ende Jahr soll die Flotte fast verdoppelt werden.

Das strategische Ziel von Miacar ist, ein grosses Stück des Lebensmittelhandels in der Schweiz zu besetzen und deutlich mehr Kunden zum Onlinekauf zu bewegen. Nach eingehender Analyse habe sich gezeigt, dass dieser quasi noch in den Kinderschuhen stecke. Die bestehenden wichtigen Anbieter hätten bislang noch keine klar führende Position eingenommen. Das liegt nach Mehrs Angaben unter anderem daran, dass die Mindesteinkaufswerte (diverse Shops verlangen rund 99 Franken) zu hoch sind und eine stärkere Verbreitung des Online-Lebensmitteleinkaufs verhindern. Genau hier setzt Miacar mit einem vergleichsweise niedrigen Mindesteinkaufswert von 25 Franken an.

Kundendichte im Liefergebiet soll steigen
Zudem steht der persönliche Kontakt zum Kunden im Zentrum. Miacar besitzt deshalb die letzte Meile selbst. Die noch kleine Flotte an Elektrolieferfahrzeugen steht im Eigentum des Unternehmens, die Fahrer sind bei Miacar angestellt. Der direkte Kontakt mit der Kundschaft, den die Fahrer gewährleisten, habe eine andere Wirkung als eine vor der Eingangstür deponierte Tasche, meint Mehr. Eine anstehende Lieferung wird dem Kunden auf 20 Minuten genau angekündigt, was ihm grösstmögliche Flexibilität bei der restlichen Tagesgestaltung lässt. In betriebswirtschaftlicher Hinsicht ist die Zahl der Lieferungen pro Stunde ein wichtiger Key Performance Indicator für Miacar. Unter anderem aus diesem Grund bleibt das Liefergebiet geografisch beschränkt. Vorrangiges Ziel ist die Erhöhung der Kundendichte innerhalb des Gebietes.
Mehr sieht insgesamt grosses Wachstumspotenzial, betont aber auch, dass sich das Geschäftsmodell rentieren muss. Insgesamt möchte man sich gegen zehn Prozent des in einer Lieferregion vorhandenen Umsatzes mit Lebensmitteln sichern. Der Fokus liegt dabei auf den Städten und Agglomerationen, weil sich dort eine hohe Kundendichte erreichen lässt. Ausserdem beträgt die Reichweite der eingesetzten Elektrofahrzeuge rund 150 Kilometer.

Klar strukturierte Bestell- und Lieferprozesse
Das Angebot wird basierend auf den Kundenwünschen festgelegt. Derzeit werden nur Produkte aus den Migros- und Denner-Sortimenten geführt. Im Zentrum steht eine möglichste breite Sortimentsführung, um einen Wocheneinkauf abbilden zu können. Erst in einem zweiten Schritt ist die Vertiefung des Sortiments geplant. Denkbar ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt externe Produktlieferanten ins Miacar-Netz aufgenommen werden, insbesondere regionale Anbieter.

Eine Lieferung startet mit der Kommissionierung der bestellten Ware im Distribution Center, welches derzeit in Schönbühl liegt. Anschliessend erfolgt der Transport zum Miacar-Hub in Ittigen, der gleichzeitig Garage und Ladestation für die Elektrovans ist. Von dort aus werden die Kunden beliefert. Die Kundenbestellungen gehen nur via App ein und sind bis 22 Uhr am Vortag einer Lieferung möglich. Zum Bestellabschluss werden der Kundschaft von der App die möglichen einstündigen Lieferslots für die kommenden sechs Tage vorgeschlagen. Damit sind um 22 Uhr eines Arbeitstages alle auszuliefernden Bestellungen für den nächsten Tag im System vorhanden. Nach der Kommissionierung startet die Auslieferung, die zwischen 14 und 22 Uhr erfolgt. Am Morgen der Belieferung werden die Kunden mit einer Nachricht informiert, wann sie die bestellte Ware innerhalb des Lieferfensters erwarten dürfen – auf 20 Minuten genau. Diese Slots werden in den allermeisten Fällen eingehalten. Mehr nennt eine Quote von 99,5 Prozent.

Nach Angaben von Mehr wird Miacar als Tech-Unternehmen aufgebaut. Das Herzstück der Firma ist die eigene Software. Bislang wurden mehrere Applikationen entwickelt. Allerdings muss es nicht immer bei Marke Eigenbau bleiben. So stelle sich bei jeder Applikation die Frage, was die Firma selber entwickelt und wo man auf bestehende Lösungen zurückgreift, erklärt Mehr. Wie andere Firmen der Branche steht Miacar zudem vor der Aufgabe, qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Offen ist man vor allem für Berufsleute, die eine Kombination aus Erfahrungen in Technologie und Logistik mitbringen. Allerdings muss Mehr zugeben: «Gute Softwareentwickler sind schwierig zu finden.»

Erfahrungen sammeln und in Mehrwert verwandeln
Bisher hat Miacar laut Mehr vorrangig positives Kundenfeedback erhalten. Dabei werden vor allem Aspekte wie die Frische und Qualität der Waren oder die Freundlichkeit und Pünktlichkeit des Fahrers bewertet. Bei Beanstandungen im Frischebereich könne man rasch reagieren, meint Mehr. Insbesondere bei Direktlieferungen bestehe eine weniger genaue Kontrolle über die Warenauswahl beim Picking als beim ebenfalls vorkommenden Instore-Picking, wo man nur auf vorselektierte Ware zugreifen kann. «Wir sind insgesamt noch in einer sehr frühen Phase», konstatiert Mehr. Im Zentrum stehe, die Prozesse reibungslos im Betriebsalltag zu etablieren und stetig zu verbessern.

Die bei den Einkäufen gewonnenen Kundendaten verwendet Miacar insbesondere für die Verbesserung des Einkaufserlebnisses und der operativen Prozesse. So wird in Zukunft Kunden, die bestimmte Waren regelmässig erwerben, dieser Kauf zum passenden Zeitpunkt vorgeschlagen, um die Einkaufsplanung zu vereinfachen. Es gibt auch Hinweise auf passende Sonderaktionen. Zudem nutzt Miacar gewonnene Transport- oder Verkehrsdaten beispielsweise zu Lieferzeitänderungen bei Regen.

Im Jahr 2020 steht für das Unternehmen vor allem eine Vergrösserung der Kundenbasis in den aktuell belieferten Regionen auf dem Programm. «Da, wo wir sind, wollen wir die Kundenzahlen deutlich steigern», sagt Mehr. Auch eine Expansion in weitere Gebiete ist möglich. Parallel dazu ist der Ausbau der operativen Strukturen geplant.

Alexander Saheb

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