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Neue Herausforderungen, neue Chancen

Seit fast 40 Jahren arbeitet Oskar Kramer bei Gebrüder Weiss. Von 2004 bis 2011 war er Niederlassungsleiter in Altenrhein, seit 2011 ist er Landesleiter. Im Interview spricht er über die Bedeutung von Speditionen und Logistik in Krisenzeiten, Hürden, die es zu überwinden gilt, und die Zeit danach.

GS1 network: Wie haben Sie den Beginn dieser Krise erlebt?
Oskar Kramer: Ich habe gemerkt, dass diese Zeit mit ganz neuen Herausforderungen verbunden ist. Grundsätzlich kann ich mit Krisen ganz gut umgehen, denn wirtschaftlich schwierige Situationen habe ich schon öfter erlebt: Bankenkrise, Ölkrise, Tschernobyl. Neu ist, dass zum Faktor Wirtschaft der Mensch hinzukommt. Es geht darum, Gesundheit und verschiedene Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Mitarbeitende sind in Quarantäne, Eltern sollten Kinderbetreuung und Homeschooling mit der Arbeit verknüpfen. Führungskräfte müssen in neue Richtungen denken und viel kommunizieren. Dank technischer Errungenschaften funktioniert Letzteres aber sehr gut.

Welche Massnahmen wurden bei Gebrüder Weiss ergriffen?
Es gibt strenge Hygiene- und Sicherheitsvorschriften. Die Mitarbeitenden wurden mit Masken, Handschuhen und Desinfektionsmitteln ausgestattet. Viele sind im Homeoffice, ansonsten arbeiten Teams voneinander getrennt, um nicht den Ausfall einer ganzen Abteilung zu riskieren. Für den Fall, dass ein Bereich geschlossen werden müsste, wurde ein Krisenplan erstellt, um notfalls die Verkehre ohne grössere Verzögerungen über andere Terminals abwickeln zu können.

Wie gross ist die Bedeutung der Logistik in Krisenzeiten?
Logistik- und Speditionsunternehmen gewährleisten die Versorgung der Menschen sowie der Betriebe. Den Mitarbeitenden in Umschlag und Lager sowie dem Zustellpersonal gebührt besonderer Dank, da sie Tag für Tag dafür sorgen, dass Medikamente und Waren des täglichen Bedarfs von A nach B kommen. Doch gerade die Arbeit der Lkw-Fahrer wird nicht besonders wertgeschätzt. Im Gegenteil: Sie haben mit Wartezeiten an den Grenzen, geschlossenen sanitären Anlagen und vielem mehr zu kämpfen.

In welchen Bereichen ist die Nachfrage gestiegen? Wo gab es einen Rückgang?
Besonders hoch war der Bedarf bei Drogerieartikeln. Zudem haben wir mehr Verpackungsmaterial als üblich an die Lebensmittelindustrie geliefert. Extreme Rückgänge gab es im Bereich Automotive, aber auch bei verschiedenen Produktionsstätten ausserhalb des Lebensmittelhandels. Eben dort, wo es zu kompletten Werksschliessungen gekommen ist.

Wie schätzen Sie die Geschäftsentwicklung im weiteren Jahresverlauf ein?
 Ich befürchte, dass die Situation schwierig bleiben wird, und gehe nicht davon aus, dass wir das Niveau von vor der Krise erreichen. Vieles hängt davon ab, wie schnell die Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann. Zudem wird die Schweiz abhängig von der Entwicklung der internationalen Märkte sein.

Wie ist Gebrüder Weiss für solche Krisenzeiten gerüstet?
Grundsätzlich ist Gebrüder Weiss ein kapitalstarkes Unternehmen. In guten Jahren wurde die Basis geschaffen, solche Krisen zu überwinden. Wie in anderen Ländern wurde auch in der Schweiz in eigene Terminals investiert und ein finanzielles Polster aufgebaut. Zur stabilen Eigenkapitalquote bringen wir als ältestes Transportunternehmen der Welt viel Erfahrung mit. Dadurch können wir auch in unsicheren Zeiten den Kunden einen sicheren und stabilen Service bieten. Wichtig dabei sind gut ausgebildete Mitarbeitende, die in solchen Situationen handlungsfähig sind und umsichtig handeln.

Welches sind die grössten Herausforderungen?
Im Prinzip beginnt es damit, die Mitarbeitenden in Sachen Hygiene und Sicherheit noch besser zu sensibilisieren. Weitere Herausforderungen gibt es durch die Restriktionen im Einzelhandel, wo es zu Ablieferschwierigkeiten bei schon bestellten Waren kommt, die nachgelagert aufwendige Administrations- und Handlingprozesse auslösen. Im europäischen Verkehr entsteht die Hauptbelastung durch Wartezeiten an der Grenze und ständig ändernde Transitregelungen.

Welche Hilfe wünschen Sie sich von der Politik?
Mein grösster Wunsch wäre, dass Kommunen und Behörden in Sachen Digitalisierung mit der Wirtschaft und Industrie Gleichschritt halten könnten. Hier erscheint mir wichtig, dass die Gesetzgebung der Entwicklung der Digitalisierung laufend angepasst wird. Auch beim Zoll sollte ein Schritt in Sachen Digitalisierung getan werden. Daten könnten vorab übermittelt werden, Fahrer müssten keine Papiere mehr bringen, die ganze Abwicklung könnte viel schneller und effizienter erfolgen.

Was wird sich nach der Krise ändern?
Die Krise hat gezeigt, welche Nachteile das Auslagern der Produktion lebenswichtiger Dinge mit sich bringen kann. Zukünftig ist darüber nachzudenken, was wo produziert werden soll. Auch rechne ich mit Auswirkungen auf das Berufsleben: Die Zahl der Geschäftsreisen wird abnehmen, denn vieles lässt sich per Videokonferenz effektiver und schneller entscheiden. Mitarbeitende haben bewiesen, dass sie im Homeoffice und mit flexiblen Arbeitszeiten effizient arbeiten, sodass neue Regelungen beibehalten werden könnten. Ganz wichtig, um eine Krise zu bewältigen – das hat sich in den vergangenen Wochen gezeigt –, sind Erfahrung und gut ausgebildetes Personal.

Die Fragen stellte Sonja Schlingensiepen.

Fakten und Zahlen
Mit über 7300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, 150 firmeneigenen Standorten und einem Jahresumsatz von 1,7 Milliarden Euro (2019) zählt Gebrüder Weiss zu den führenden Transport- und Logistikunternehmen Europas. Unter dem Dach der Gebrüder Weiss Holding AG mit Sitz in Lauterach (Österreich) fasst das Unternehmen neben seinen Hauptgeschäftsbereichen Landtransporte, Luft- und Seefracht sowie Logistik auch eine Reihe von hoch spezialisierten Branchenlösungen und Tochterunternehmen zusammen.

 

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