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Damit die bittere Pille sicher ist

Damit die bittere Pille sicher ist Pharmazeutika geraten immer mehr ins Visier von Fälschern. Spezialisten für Sicherheitstechnik bieten verblüffende Lösungen in Form von offenen oder verdeckten Merkmalen an. Das regulatorische Umfeld der Pharmabranche muss dabei berücksichtigt werden.

(mf) Das Fälscherhandwerk ist auf dem Vormarsch – immer globaler, dreister, raffinierter. Von A wie Armbanduhren bis Z wie Zahnbürsten diversifizieren und verbessern die Fälscher ihre Produktpalette ständig. Auch Medikamente und Kosmetika sind von Fälschungen betroffen.

Die Europäische Kommission stellte 2007 fest, dass die an den EU-Zollaussengrenzen konfiszierten Arzneimittel gegenüber dem Vorjahr um 51 Prozent zugenommen haben. Zudem wurden 6 Millionen Kosmetikartikel beschlagnahmt. «Die Fälschungen betreffen nicht mehr nur sogenannte Lifestyle-Produkte (z.B. Erektionsförderer, Schlankheitsmittel, Muskelaufbaupräparate), sondern zunehmend auch therapeutisch bedeutende Mittel gegen Krebs und HerzKreislauf-Beschwerden», wie Heinz Müller, stellvertretender Generalsekretär des schweizerischen Branchenverbandes Interpharma darlegt. Die Kosmetikindustrie scheint sich zur Produktschutz-Frage kaum äussern zu wollen. Problem erkannt oder unangenehm berührt? Die weltweit agierenden Pharmakonzerne können indes nicht mehr verschweigen, dass sie regelmässig ins Visier der Produktpiraterie geraten. Die Hersteller rezeptpflichtiger Präparate wollen diesen Schummeleien mit viel Technik zu Leibe rücken, beteuert der schweizerische Branchenverband Interpharma. Ausserdem verweisen die Pharmafirmen auf die einzig verlässlichen Verkaufsstellen für Medikamente: die staatlich approbierten Apotheken. Ein kurzer Blick in deren Angebot zeigt aber auf, dass der Verpackungsauf-wand bei manch teurem Medikament (gegen Diabetes, Herz-Kreislauf-Störungen usw.) sich doch sehr in Grenzen hält. Mit einfachsten Klebstreifen versehene Faltschachteln könnten rasch umgepackt werden, und die verwendeten Blister sind ebenfalls leicht nachzuahmen.

Ein simples Hologramm genügt nicht
Eigentlich steht eine ganze Palette von cleveren drucktechnischen Verfahren für einen integrierten Produktschutz zur Verfügung. So basiert eine Technologie der Firma U-Nica auf der Erkenntnis, dass jedes Objekt eine einzigartige, individuelle Oberflächenstruktur besitzt, welche in Form von Daten gespeichert werden kann. Eine andere ist die kryptografische Serialisierung von Produkteeinheiten. Dann bietet die deutsche STI Group für spezielle Aufträge ebenfalls hochwertige Sicherheitselemente an. Der Empfänger der Ware kann diese allerdings mit blossem Auge nicht überprüfen: versteckte Informationen in Sicherheitsrastern, Spezialprägungen und fluoreszierenden Lacken sowie versteckte 3D-Bilder können nur mittels spezieller Geräte dekodiert werden. «Je nach Wunsch des Kunden kann das Einfügen solcher Sicherheitselemente bis zu 20 Prozent der Verpackungskosten ausmachen», sagt Claudia Rivinius, Verantwortliche für Corporate Communications der STI Group. Im Auftrag des ungarischen Pharmaherstellers Gedeon Richter entwickelte das Unternehmen eine fälschungssichere Faltschachtel für ein Medikament, das in Kenia vertrieben wird. Neben einem Hologramm sind in das Druckbild Sicherheitselemente (Invisible Constant Information) integriert, die nur mit einer Speziallinse entschlüsselt werden können. «Nachhaltigen Produktschutz gewährleistet nur ein Konzept, das – etwa verankert in den Richtlinien der Markenführung – Lieferanten wie Kunden gleichermassen berücksichtigt», konstatiert Klaus Franken, Marketingleiter bei der Firma U-Nica. Markenschutz dürfe in der Produktentwicklung kein Mauerblümchendasein fristen. «Ein wenig durchdachtes Sicherheitskonzept reduziert ein Schutzmerkmal, wenn es beispielsweise nur in Form eines Hologrammetiketts präsent ist, in der Praxis auf reine Kosmetik.»

Viele Baustellen für mehr Sicherheit
Sowohl technologische Herausforderungen als auch regulatorische Vielfalt schrecken die Industrie wie auch den Handel davon ab, beim Produkteschutz offensiv voranzugehen. Als Beispiel sei die Firma Spirig genannt, die vorab für den Schweizer Markt Dermatika-Produkte herstellt und von Fälschungen bisher verschont worden ist: Im jetzigen Zeitpunkt sei es schwierig zu beurteilen, welches System sich durchsetzen werde, und ein Investieren in die falsche Technologie sei unverantwortlich, sagt der technische Direktor des Unternehmens. Noch immer herrscht Rätselraten in Bezug auf die Frage, ob die RFID-Funkchips dereinst die Warenbewirtschaftung dominieren werden und inwiefern dann der Vertrieb von Arzneimitteln davon betroffen wäre. «Zumindest hat sich der Hype um den RFID-Chip als elegante Sicherheitslösung gelegt», sagt Sicherheitsexperte Franken. «Heutige Erkenntnisse relativieren die Bedeutung des Chips ganz erheblich.» Eine weitere Sorge: Im Gegensatz zur Konsumgüterwelt, die das GS1 System verwendet, orientiert sich die Pharmabranche an nationalen Regelungen. So hat beispielsweise Italien im Januar 2005 ein Dekret zur Umsetzung der lückenlosen Warenverfolgung von Arzneimitteln veröffentlicht. Auf sogenannten Bollini − mit doppelten Barcodes versehenen Vignetten − können zahlreiche Informationen herausgelesen werden: Sender und Empfänger der Arznei-Sendung, Datum, Produkt-Code, Charge und Verfalldatum. Zudem verlangen die Behörden, dass sämtliche verloren gegangenen oder vernichteten Vignetten auf elektronischem Weg an eine zentrale Datenbank übermittelt werden müssen. Wer in der Pharma-Wertschöpfungskette darüber nicht Buch führt, kann mit Bussen zwischen 1500 und 9000 Euro bestraft werden. Im südlichen Nachbarland ergaunerten sich Clevere mit den Bollini alten Zuschnitts (eigentlich Gebührenmarken) unerlaubte Rückerstattungen aus dem Gesundheitssystem.

Der 2D-Code soll es richten
Inzwischen hat sich der europäische Pharma-Branchenverband in einer Absichtserklärung für die paneuropäische Einführung eines 2D-Data-Matrix-Codes ausgesprochen. Bei einer 2DDaten-Matrix sind die Informationen sehr kompakt in einer quadratischen oder rechteckigen Fläche als Muster von Punkten codiert. Mit ihr sollen die Voraussetzungen geschaffen werden für eine lückenlose Verfolgung der Arzneimittel und für eine Authentizitätsprüfung jeder einzelnen Packung. Konkret prüft der Apotheker bei jedem Medikament einen Identifikationscode, bevor er das Medikament an den Patienten weitergibt. Dieses System wurde in Schweden in einem Pilotprojekt des europäischen Pharmaverbands gemeinsam mit Apothekern und Grosshändlern erfolgreich getestet. Auch in der Schweiz lief ein Pilotprojekt mit einem 2D-Data-Matrix. Gemäss Claudia Rivinius von der STI Group biete dieser Code auch einen Zusatznutzen für Apotheker und Endverbraucher: «Mobiltelefone, die mit einer entsprechenden Software ausgestattet sind, können den Code entschlüsseln. Wird vom Telefon eine Verbindung zum Internet aufgebaut, kann dieser anschliessend verifiziert werden.» Noch bleibt die Pharmaindustrie mit dem regulatorischen Umfeld beschäftigt: «Eine offene Frage ist gegenwärtig, ob der Code-Aufdruck auf jede einzelne Tablette oder Kapsel zu applizieren ist», so Heinz Müller von der Interpharma. Die Pharmaindustrie in der Schweiz beteilige sich aktiv an einer europäischen Lösung zur lückenlosen Rückverfolgung und Authentizitätsprüfung von Arzneimitteln, bekräftigt der Branchenverband.

Manuel Fischer

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