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Zwei Gesetze und viele Fragen

Nach der Verordnung (EU) 1169/2011 muss sich die Schweizer Lebensmittelindustrie mit dem neuen Schweizer Lebensmittelgesetz auseinandersetzen. GS1 Schweiz informierte an der Veranstaltung "Deklaration 3.0“ über die kommende Gesetzgebung und ihre Konsequenzen. Die Referate zeigten neben den gesetzlichen Grundlagen auch Umsetzungsmöglichkeiten wie beispielsweise trustbox auf.

Mehr als 270 Teilnehmer verschafften sich an der Veranstaltung einen Überblick darüber, wie sie korrekte und aktuelle Produktestammdaten bereitstellen können. Das Thema bewegte Vertreter von Lebensmittelhandel und –produktion, Online-Shops aber auch Ernährungsberatung und Gastronomie. In der Praxis besteht bei den korrekten Stammdaten zu Lebensmitteln häufig noch Nachholbedarf, wie Dr. Michael Beer, Vize-Direktor des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) zu Beginn deutlich machte: „Die Tagung heisst zwar Deklaration 3.0, aber in der Praxis sind wir bei Deklaration 1.1.“ Das BLV sowie die Partnerverbände Promarca, fial, VSV und die Swiss Retail Federation haben die Tagung unterstützt.

 

Neues Gesetz ab 2016

Für die neue Schweizer Lebensmittelinformationsverordnung (LIV) sind die Grundlagen bereits geschaffen; die Anhörung wird demnächst eröffnet. Doch die konkrete Umsetzung und der Stichtag sind noch offen. Die Vertreter des BLV gingen davon aus, dass das Gesetz in der ersten Jahreshälfte 2016 in Kraft tritt und stellten Übergangsfristen in Aussicht.

Wie vielschichtig das Thema „Kennzeichnung von Lebensmitteln“ ist, erläuterte Dr. Judith Deflorin vom BLV und stellte das aktuelle und das neue Schweizer Gesetz der EU-Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) gegenüber. Dabei gelten für Fernabsatz, Gemeinschaftsverpflegung sowie den Offenverkauf unterschiedliche Regeln.

Fazit: In einigen Punkten wird die Schweizer LIV strenger als die EU-LMIV sein, in anderen erlaubt sie etwas mehr Freiheiten. So ist beispielsweise die Deklaration des Herkunftslandes nach der LMIV freiwillig, in der Schweizer LIV jedoch ein Muss. Beim Fernabsatz von Lebensmitteln und der Nährwertdeklaration sind die Anforderungen gleich hoch. So müssen dem Konsumenten beim Fernabsatz alle obligatorischen Angaben vor Abschluss des Kaufvertrages zugänglich gemacht werden. Die Nährwertdeklaration wird mit der neuen LIV wie auch in der EU obligatorisch. Dass es nach dem Referat förmlich Fragen hagelte, zeigt, wie sehr das Thema unter den Nägeln brennt – und wie viele offene Punkte es noch zu klären gibt.

 

trustbox: einfach und schnell gesetzeskonform

An der Tagung präsentierten Lebensmittelhersteller wie Hilcona und HUG sowie Lebensmittelhändler wie Coop und Migros, mit welchen Lösungen sie die gesetzlichen Anforderungen umsetzen. Saubere Stammdaten sind dabei eine grosse Herausforderung, die allen Beteiligten jedoch Vorteile verschafft und zu effizienteren Prozessen führe. Neben GDSN (Global Data Synchronization Network) ist trustbox eine Möglichkeit dafür. Domenic Schneider von GS1 Schweiz präsentierte diese Schweizer Lösung. „Hersteller oder Markeninhaber können über trustbox ihre Produktinformationen und Bilder dem Handel, Behörden und Konsumenten zur Verfügung stellen“, so Schneider. Sie haben dabei jederzeit die volle Kontrolle über die Daten und können sie aktualisieren. „Der Vorteil gegenüber GDSN ist, dass in trustbox weniger Attribute eingepflegt werden müssen. Der Aufwand ist damit für die Unternehmen deutlich geringer.“ Während trustbox rund 60 Attribute abfragt, werden in GDSN rund 390 Attribute übermittelt. Das Interesse an trustbox sei bereits vor Inkrafttreten des Schweizer Gesetzes sehr hoch: „Aktuell möchten mehr als doppelt so viele Datenverwerter wie Datenlieferanten trustbox nutzen“, so Schneider. „Das ist ein deutlicher Beweis für das Interesse.“

 

Die Qualität ist der springende Punkt

In Belgien wird eine gleichnamige Dienstleistung angeboten. Jan Somers, CEO von GS1 Belgium & Luxembourg präsentierte die Erfahrungen mit trustbox. Kurz vor Ende der Übergangsfrist der LMIV sei die Zahl der erfassten Produkte sprunghaft angestiegen. Er appellierte deshalb mehrmals an die Teilnehmer: „Seien Sie vorbereitet, warten Sie nicht bis zum letzten Moment.“ Und noch etwas gab er mit auf den Weg: „Das Problem ist nicht das Hochladen von Daten, sondern die Qualität der Daten.“

Als Klaus Fuchs vom Auto-ID Labs der ETH Zürich die Teilnehmer in die Welt der konsumentenorientierten Apps entführte, wurde das Thema Datenqualität noch unter einem ganz anderen Aspekt diskutiert: Inwiefern kann der Konsument all die Informationen überhaupt verarbeiten bzw. richtig interpretieren?

 

Viele Fragen sind noch offen

Die abschliessende Podiumsdiskussion griff mehrere Aspekte der Tagung wieder auf, z.B. wie Lebensmittel, die von Privatpersonen für Dorffeste oder Vereinsabende zur Verfügung gestellt werden, deklariert werden müssen. Auf die Frage, wie streng das neue Gesetz durchgesetzt wird, antwortete Dr. Otmar Deflorin, Präsident der Kantonschemiker Schweiz VKCS mit einer guten Portion Humor: „Wir werden das 1:1 knallhart durchsetzen. Wenn also eine Grossmutter für so einen Abend einen Kuchen backt, dann muss sie zuerst ein Datenbankkonzept und eine App haben. Sobald sie den Teig in die Backform füllt, muss sie die Rezeptur in trustbox veröffentlichen und den Kuchen dann mit einem Barcode aus Marzipan versehen. Nur die Leute, die ein iPhone haben und den Code scannen können, können ans Buffet. Dann muss man unterschreiben, dass man alles, also auch das Kleingedruckte, gelesen hat und den Kuchen nicht weitergibt – und erst dann bekommt man ein Stück Kuchen.“ Nachdem die Lacher verklungen waren, ermunterte Dr. Otmar Deflorin die Teilnehmer, den Gesetzestext fleissig zu kommentieren und sprach sich für pragmatische Lösungen aus. „Abgesehen davon haben wir dann ein anderes Problem der Buffets immer noch nicht gelöst: Was passiert, wenn ein Löffel von einer Schale in die nächste wandert und diese mit Allergenen kontaminiert?“

Die Tagung zeigte, dass viele Fragen in Bezug auf das neue Gesetz noch offen sind. Und sie zeigte, dass Stammdatenprojekte nicht von heute auf morgen umzusetzen sind. Wer mit Lebensmitteln zu tun hat, startet also besser heute als morgen.

Katharina Birk

 

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