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Wo die Schweiz in Europa steht

Wo die Schweiz in Europa stehtDie Schweiz ist gut für die Zukunft aufgestellt – trotz Finanzkrise, Exporteinbruch und Angriffen auf das Bankgeheimnis. Das kleine Land im Herzen Europas ist ein veritabler Hotspot in Sachen Innovation. Dies geht aus einer exklusiven Studie der Universität St. Gallen hervor.

(og/ph) Über Jahre wurde mit Verweis auf hohes Wohlstandsniveau, solide Konjunktur und niedrige Arbeitslosigkeit die Ausnahmerolle der Schweiz unter den europäischen Ländern herausgestrichen.

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der vermehrten Schwierigkeiten auf dem Bankenplatz rückt jedoch die Verletzlichkeit der Schweizer Wirtschaft ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Angesichts der Aufholjagd der Schwellenländer und der seit Längerem monierten Wachstums-schwäche wird bereits über ein mögliches Zurückfallen der Schweiz in die zweite Reihe der wirtschaftlich erfolgreichen Länder diskutiert.

Doch wie steht es wirklich um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz? Wie geht sie mit ihrer einzigen natürlichen Ressource – der Kreativität und Innovationskraft ihrer Bewohner – um? Ist das Land tatsächlich ein Innovationshotspot Europas und ist das Potenzial erkennbar, hier in Zukunft noch mehr zu leisten? Hat die Schweiz das Zeug, bis 2020 zu den fünf innovativsten Ländern der Welt zu gehören?

Schrittmacher im Herzen Europas
Zumindest in den Augen der Europäischen Kommission kommt in Sachen Innovationsleistung kein anderes europäisches Land an die Schweiz heran. Das von diesem Gremium in Auftrag gegebene European Innovation Scoreboard misst unter anderem den Ausbildungsstand der Bevölkerung, Finanzierungsmöglichkeiten, Patentanmeldungen, Investitionen und ökonomische Effekte von Innovationen und sieht die Schweiz sogar noch vor den skandinavischen Ländern. Zum gleichen Ergebnis kommt auch das viel beachtete Ranking der IMD zur Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder, in dem die Schweiz ebenfalls als bestes europäisches Land abschneidet.
Verantwortlich für diese Top-Platzierungen sind neben den allgemein guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem das leistungsfähige Bildungs-und Wissenschaftssystem sowie die Forschungs- und Entwicklungsleistungen der Unternehmen. An Schweizer Forschungsstätten werden Fördergelder so produktiv eingesetzt wie nirgends sonst, wenn man die Anzahl Publikationen pro eingesetzten Franken betrachtet. Auch absolute Spitzenforscher sind in der Schweiz gut aufgehoben, ist es doch in keinem anderen Land so wahrscheinlich, als Einwohner einmal mit dem Nobelpreis für Medizin, Ökonomie, Chemie oder Physik ausgezeichnet zu werden. Die akademische Forschung stellt jedoch nur eine von mehreren Quellen der Innovation dar. Genauso wichtig sind gut vernetzte Industriefirmen, welche die Früchte der Forschungsarbeit in Produkte für den Markt umsetzen und somit Wertschöpfung und hoch qualifizierte Beschäftigung sichern können. Dass sich Firmen – und besonders jene aus den wissensintensiven Branchen der Hochtechnologie – mit Vorliebe nahe beieinander in sogenannten Clustern niederlassen, ist kein neuer Trend (siehe Schweizkarte auf Seite 10). Mit zunehmender Spezialisierung und überbetrieblicher Zusammenarbeit wird sich dieser Trend noch verstärken. Die Schweiz kann auch hier vor allem im Bereich der pharmazeutisch-chemischen Industrie ein im europäischen und globalen Vergleich hervorragendes Umfeld bieten. Zudem profitiert sie von der Nähe zu den wichtigsten industriellen Technologie-Clustern Europas, die sich stark im süddeutschen Raum konzentrieren.

Um die gute Ausgangslage für die Zukunft nutzen zu können, darf sich die Schweiz jedoch nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen. Vielmehr muss ständig in die Fundamente der zukünftigen Innovationskraft investiert werden: Bildungssystem, Forschungs- und Entwicklungsausgaben und Umsetzungskompetenz. Gerade bei diesen Inputs macht sich bemerkbar, dass die Schweiz in Zukunft vermehrt auch mit Volkswirtschaften ausserhalb Europas konkurrieren muss. So wird das Land bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Unternehmen (in Prozent des BIP) von Ländern wie Israel, Schweden und Finnland, aber auch Japan und Korea überholt. Allerdings findet sich die Schweiz hier wie auch bei den öffentlichen Bildungsausgaben oder bei der unternehmerischen Tätigkeit der Bevölkerung immer noch unter den Top Ten. Wie erfolgreich die Schweiz mit diesen Inputs arbeiten kann, hängt auch von der Effizienz der Mittelverwendung ab. Während diese im Bereich der Forschung sehr hoch ist, existieren im Bildungsbereich noch Verbesserungspotenziale. Noch immer hat die Schweiz eine im internationalen Vergleich tiefe Abschlussquote und hohe Kosten pro Student. Ob sich dies mit dem neuen Hochschulgesetz (HFKG) ändern wird, ist offen.

Die Gesamtschau von Input, Output und Ausgangslage zeichnet ein Bild der Schweiz als innovativem Hotspot in Europa. Es ist aber klar, dass die Forderung, in zehn Jahren zu den fünf innovativsten Ländern der Erde zu gehören, ambitioniert ist. Es stellt sich daher die Frage, wie die Schweiz als Innovationsstandort im europäischen und globalen Umfeld gestärkt werden kann. Wo konzentrieren sich heute die öffentlichen und privaten Aktivitäten in Wissenschaft und Technologie? Welche Akteure haben massgeblich zur guten Ausgangslage beigetragen, und woher nahmen sie das Rüstzeug zu diesen Leistungen?

Schweizer Firmen sind die Treiber
Die Innovationsleistungen der Schweiz basieren auf dem guten Zusammenspiel zwischen den privaten Unternehmen und den öffentlichen Bildungs- und Forschungseinrichtungen. Die treibende Kraft dabei ist traditionellerweise die Privatwirtschaft. Diese zeichnet für mehr als 70 Prozent der Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen verantwortlich, ein Anteil, der in Europa nur von Schweden übertroffen wird.

Zahlreiche Studien kommen zum Schluss, dass für die Schweizer Industrie vor allem die sogenannten Hightech-Branchen die besten Zukunftsaussichten und Wachstumschancen versprechen. In der Landkarte auf Seite 10 sind jene Schweizer Regionen vermerkt, die in diesen Branchen mehr als 2000 Beschäftigte aufweisen. Sieht man sich dazu noch die regional dominanten Branchen an, so ergibt sich das Bild einer richtiggehenden Hightech-Landschaft von Genf dem Jurabogen entlang bis nach Basel und Zürich, die weit ins Land ausstrahlt.

Sowohl die Uhren- und Präzisionsmaschinenherstellung als auch die Medizinaltechnik (Medtech) haben ihre technologischen Wurzeln in der Feinmechanik und Mikrotechnik, wobei im Falle der Medizinaltechnik auch viele Berührungspunkte mit der im Raum Basel sehr dominanten Pharma und Chemieindustrie bestehen. Diese Branchen überschneiden sich nicht nur bezüglich der notwendigen Qualifikationen der Beschäftigten, sondern greifen auch geografisch ineinander. Dabei sind es nicht ausschliesslich Schweizer Grossunternehmen, sondern gerade die vielen innovativen KMU, die in ihren Bereichen auch international am neusten Stand der Technik teilhaben.

Einige grössere Unternehmen wie Novartis, Roche, ABB, Nestlé oder IBM sind zudem stark in der Forschung involviert und empfehlen sich mit ihrer wissenschaftlichen Publikationstätigkeit als ideale Partner der Grundlagenforschung an den Hochschulen. Nicht wenige dieser Firmen verfügen auch über eine hervorragende Innovationsreputation, die kürzlich vom Wirtschaftsmagazin «Bilanz» unter Schweizer Unternehmen gemessen wurde. Dass in diesem Ranking auch viele Firmen ausserhalb des Hightech-Sektors zu den Besten gehören, zeigt die steigende Bedeutung der intelligenten Verknüpfung von Technologie mit Dienstleistungen auf. Firmen wie Mobility oder Migros werden zu den innovativsten gezählt, weil sie es fertigbringen, moderne Technik oder perfekte Logistik mit einem einzigartigen Kundenerlebnis zu verbinden.

Forschungsstark und vielfältig
Die Innovationsleistung des öffentlichen Sektors wird an den Universitäten, Fachhochschulen sowie den Forschungsanstalten des Bundes erbracht. Sie umfasst die Aus- und Weiterbildung für die Wirtschaft sowie die grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung. Ein Blick auf die Verteilung der Studierenden in den natur-, ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen zeigt, dass diese breit über das ganze Land verteilt sind. Nur die ETH Zürich und die Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) vereinen mehr als 10 Prozent der Studierenden dieser Richtungen auf sich. Im Bereich der Forschung ist hingegen eine starke Konzentration der Forschenden und der finanziellen Mittel auf die beiden ETH-Standorte in Zürich und Lausanne festzustellen. Auch die naturwissenschaftlichtechnisch ausgerichteten Forschungsschwerpunkte des Nationalfonds gruppieren sich grossmehrheitlich um den Genfer- und Zürichsee.

Nicht zu vernachlässigen ist die Bedeutung, die ausländische Universitäten als «Lieferanten» von wissenschaftlich-technischem Personal für die Schweiz haben. So beträgt unter den hier wohnhaften Hochschulabsolventen der Ausländeranteil 44 Prozent. Bei weitem nicht alle dieser hoch qualifizierten Arbeitskräfte haben ihr Studium in der Schweiz absolviert. Ihr Zustrom zeigt deutlich auf, wie stark der Schweizer Bildungs-, Forschungs- und Wirtschaftsraum immer noch Leute aus aller Welt anzieht.

Die Schwerpunkte der akademischen Forschung und der industriellen Hochtechnologie sind bei weitem nicht deckungsgleich. Während sich die Hochschulforschung auf zwei Ballungsräume konzentriert, findet sich die Hightech-Branche (mit Ausnahme der Konzentration in Basel) eher in Randgebieten wieder, wo die oft platzintensiven Betriebe mit weniger konkurrierenden Nutzungsansprüchen konfrontiert sind. Dass ein reger Austausch zwischen Hochschulen und Unternehmen gleichwohl stattfindet, ist zum einen der hervorragenden Verkehrsinfrastruktur zu verdanken, welche die Gebiete der Jura-Mittelland-Region miteinander verbindet und eine hohe räumliche Mobilität innerhalb des Landes gewährleistet. Zum anderen spielt auch die Ausrichtung der Hochschulen auf die Bedürfnisse der Praxis eine Rolle. Hier geht es neben dem Transfer von Wissen und Forschungsergebnissen aus den Hochschulen in die Wirtschaft auch um die Vermittlung der Bedürfnisse der Unternehmen in die Hochschulen hinein.

So existieren in der Hochschulforschung Drittmittel-Finanzierungsgrade von bis zu 59 Prozent (Universität St. Gallen) oder in einzelnen Studiengängen bis zu 75 Prozent (Maschinen-/ Elektroingenieurwesen an der Universität Neuenburg). Das steigende Interesse der Hochschulen an der Verwertung der Forschungsergebnisse spiegelt sich auch in den zahlreichen Spin-offs, die um diese herum entstehen. Dass die Schweiz hier ein gutes Umfeld bietet, zeigt sich auch daran, dass das Land in der viel beachteten «Red Herring»-Liste der vielversprechendsten europäischen Start-ups mit 14 von 100 Firmen auch in absoluten Zahlen am besten in Europa abgeschnitten hat.

Die Innovationspolitik der Schweiz stellt sicher, dass dieses Umfeld auch in Zukunft optimal den veränderten Bedingungen angepasst wird. Eine solche Veränderung, auf welche die Politik eine Antwort finden muss, ist die zunehmende Internationalisierung der Innovation. Schweizer Firmen investieren bereits heute die Hälfte ihrer Forschungs- und Entwicklungsausgaben im Ausland, was den Standort Schweiz eher stärkt als schwächt. Die Schweiz kann nur profitieren, wenn sie mit ihren Rahmenbedingungen diese Internationalisierung fördert. Das Land wird im globalen Wettbewerb vermehrt als eine Region wahrgenommen werden, und Innovationen entstehen zunehmend im Zusammen- spiel von Regionen auf nationaler und transnationaler Ebene. Um die Ausgangslage der Schweiz zu verbessern, bietet sich vor allem eine Verstärkung der Koordination zwischen den Akteuren an, speziell von Wissenschaft und Unternehmen (Stichwort: Marktorientierung der Hochschulen) sowie innerhalb der Hochschullandschaft (Stichwort: Erreichen einer kritischen Masse). Eine grosse Herausforderung für die Innovationspolitik der Zukunft wird es sein, neue und flexible Strukturen für das Zusammenspiel zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zu finden, ohne Autonomie und Handlungsfreiheit im Bildungs-und Forschungsbereich einzuschränken.

Aus der Managementsicht
Die Innovationsinfrastruktur vor Ort nimmt bei Standortentscheiden von Unternehmen eine immer wichtigere Rolle ein. Dies ist eine direkte Folge der steigenden Bedeutung, die Innovationen für Unternehmen der Industrie haben. Zunehmend setzt sich die Einsicht durch, dass auch das fokussierteste Unternehmen die Komplexität in seinem spezifischen Umfeld nicht mehr gänzlich über interne Strukturen bewältigen kann. Galt früher noch der Ausspruch von Georg Simmel, dass «gebildet ist, wer weiss, wo er findet, was er nicht weiss», so ist in Zeiten der Wissensgesellschaft kritisch, jederzeit zu wissen, wo gerade relevantes Wissen entsteht. Dieses muss erschlossen und ausgenutzt werden, bevor es veraltet oder obsolet wird.

Die Öffnung gegenüber Wissensträgern jenseits der Unternehmensgrenzen und die Integration von internen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen in grössere Netzwerke werden zu unumgänglichen Anforderungen. Diese Veränderung im Mindset lässt sich mit einem Paradigmenwechsel von «the lab is our world» hin zu «the world is our lab» umschreiben. Innovative Unternehmen haben sich die Fähigkeit erarbeitet, lokal auf Kompetenzfelder zuzugreifen und diese für die Firma gewinnbringend global zu vernetzen. Dazu gehört es auch, die Innovationsreputation des eigenen Unternehmens als eigenständigen Wert zu erkennen und zu pflegen.

Nur wer von externen Akteuren als kompetenter potenzieller Partner wahrgenommen wird, kann überhaupt mit diesen in einen Austausch treten. Dies beinhaltet, die eigenen Leistungen kommunikativ aus dem Labor hinauszutragen, sei dies im Rahmen von Gastvorträgen an Universitäten, durch die Mitarbeit in Branchenverbänden oder durch aktive Kommunikation von innovativen Leistungen gegenüber den relevanten Ansprechgruppen.

Der Zusammenarbeit von Unternehmen mit Hochschulen kommt im Rahmen der Öffnung der unternehmerischen Innovation besondere Bedeutung zu. Einerseits richten die Hochschulen ihre Aktivitäten vermehrt auf die Bedürfnisse der Wirtschaft aus und sind bestrebt, an der Verwertung ihrer Forschung im Rahmen der Anwendung teilzuhaben. Andererseits nutzen Unternehmen speziell in Zeiten knapper Budgets für Forschung und Entwicklung die aus der Zusammenarbeit entstehende Hebelwirkung beim Zugriff auf externe Kompetenzen, Strukturen und Talente.

Speziell für KMU ohne ständige Hochschulpräsenz bieten sich die verschiedenen Arten der Kooperation von Diplomarbeiten über Doktoratsprojekte bis hin zur Projektzusammenarbeit an. Grössere Unternehmen investieren in gemeinsame Infrastruktur, wie SAP mit einem Forschungszentrum an der Universität St. Gallen oder IBM mit einem Nanotech-Labor an der ETH Zürich. Hierbei werden strategische Allianzen in ausgewählten Innovationsfeldern aufgebaut. Eckpfeiler solcher Verbindungen müssen stets auch klare Regelungen zur Nutzung des geistigen Eigentums sein: Wer hat welche Rechte an was? Gerade die Schweizer Hochschulen haben in den letzten Jahren stark in Aufbau und Verwertung ihres Patentportfolios investiert und stehen den Unternehmenspartnern bezüglich Professionalität nicht mehr nach.

Für Unternehmen, die den zunehmend internationalen und kollaborativen Charakter von Innovation als Chance begreifen, bietet die Schweiz mit ihrer vielfältigen Innovationslandschaft beste Bedingungen, auch in Zukunft erfolgreich zu sein.

Oliver Gassmann und Peter Hürzeler

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